Mirjam
Jewish Roots, Buddhist wings
Aktualisiert: 5. Apr. 2018
I wrote this article for the magazine "aufbau". It explores the Jewish-Buddhist connection. In German...
In den letzten Jahren haben viele Juden eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung des Buddhismus in Amerika und Europa gespielt. Was verbindet Buddhismus und Judentum? Und was unterschiedet die beiden Religionen?
Menschen jüdischer Herkunft, die sich ganz oder auch nur teilweise dem Buddhismus zuwenden, nennt man heute umgangssprachlich Jubus. Marc Lieberman, praktizierender Jude und Buddhist und Initiant mehrerer Seminare und Treffen zwischen Juden und Buddhisten, beschreibt sich selbst folgendermassen: «Ich habe jüdische Wurzeln und buddhistische Flügel.» Viele Juden empfinden die Zuwendung anderer Juden zum Buddhismus als Verrat oder zumindest als grosse Enttäuschung. Nicht zuletzt sind viele dieser «Abtrünnigen» Menschen mit grosser Wachsamkeit und Spiritualität, Menschen, die grundsätzlich viel zum Reichtum des religiösen Lebens beitragen könnten. Sie haben sich jedoch nicht für das Judentum entschieden. Für Juden stellt sich somit unweigerlich die Frage, was denn der Buddhismus zu bieten hat, was dem Judentum fehlt.
Viele Jubus erinnern sich an sehr geringe oder überhaupt keine spirituelle Einführung während ihrer Zeit als junge Juden, wenn nicht gar daran, dass ihre diesbezüglichen Fragen und Bedürfnisse im Keime erstickt wurden. Wesentlich ist, dass die meisten Jubus nicht aus einem religiösen, sondern oft aus einem jüdisch-traditionellen Haus kommen. Ihr Ausgangspunkt ist also ein Ort, an dem oft eine Diskrepanz herrscht zwischen der religiösen Herkunft und dem gelebten Alltag. Ein Zuhause, wo das Judentum vor allem aus Kultur und Volkszugehörigkeit besteht und Glaube oder Spiritualität keinen massgeblichen Raum finden. Auch wenn viele dieser Familien die wichtigen Momente im jüdischen Jahr zelebrieren, ist es für junge Sinnsuchende schwierig, philosophische und spirituelle Antworten auf ihre Fragen zu finden. Die jährlichen Synagogenbesuche sind meist an einer Hand abzuzählen, was es fast verunmöglicht, sich überhaupt mit den Vorgängen während des Gottesdienstes vertraut zu machen, geschweige denn, sich ihnen hinzugeben. Zudem stehen oft auch die im Alltag vom Elternhaus mitgegebenen Wertvorstellungen und Erfahrungen in krassem Gegensatz zu denjenigen des Gottesdienstes, wie zum Beispiel die Rolle der Frau oder die Inhalte der Texte. Diese Diskrepanz führt bei vielen jungen Juden entweder zur Abkehr von religiösen Aspekten des Judentums oder zu einer Zuwendung zu anderen Formen der spirituellen Hingabe. Ram Dass, ein bedeutsamer Lehrer des Hinduismus und geborener Jude, beschreibt seine Beziehung zum Judentum wie folgt: «Meine ganze Beziehung zum Judentum bestand aus der Sentimentalität für die hohen Feiertage. Mein Vater und meine Mutter wuchsen in orthodoxen Familien auf, wir waren aber liberal konservativ – Schweinefleisch wurde nur in chinesischen Restaurants gegessen.»
Weg vom Kopf, hin zum Körper
Zalman Shalomi Schachter, ein ehemaliger orthodoxer Rabbiner der Chabad-Lubavitch-Bewegung und Gründer der Bewegung Jewish Renewal, kommentiert die Zuwendung des Dichters Allen Ginsberg zum Buddhismus folgendermassen: «Ginsberg und die anderen Jubus waren am verhungern und die Buddhisten haben sie ernährt. Es gibt also keinen Grund für die Juden, darüber wütend zu sein.»
Die Frage bleibt aber im Raum stehen, ob denn nicht auch das Judentum solche spirituellen Bedürfnisse abdecken kann? Ist die jüdische Mystik vergleichbar mit dem Buddhismus? Für viele Suchende ist die Relativierung des Intellekts einer der Hauptanziehungspunkte des Buddhismus. In unserer westlichen Welt, in der Verstand und Individualismus oft als Pfeiler unserer Moral- und Wertvorstellungen gelten, ist der Kopf das Zentrum des Menschen. Der Buddhismus sieht das anders: Als Zentrum des Körpers wird die Stelle gleich unter dem Bauchnabel erachtet. Bei der buddhistischen Meditation wird in diese Körpermitte meditiert. Ziel ist es, sich von dem konstanten Gedankenfluss («the monkeymind») zu lösen und den Fluss nur so vorbeiziehen zu lassen. Somit wird vom Kopf und dessen Fähigkeiten Abstand genommen. Durch die Verlagerung des Bewusstseins vom Kopf auf den Körper werden auch der Raum und die Umgebung eher gefühlt als betrachtet. Obwohl es auch im Judentum mystische Lehren und Techniken gibt, die ähnliche Wirkungen haben, orientieren sich viele, vor allem aber säkulare Juden, an Logik, Intellekt und Verstand. Rodger Kamenetz wagt in seinem Buch «Jew in the Lotus» sogar die Vermutung aufzustellen, dass die jüdische Identität, so, wie sie sich heute im Westen entwickelt hat (und sich, wie oben erwähnt, vor allem auf die Vernunft konzentriert), sogar eine Barriere darstellen könnte, wenn es darum geht, in die Tiefen des Judentums vorzustossen. Mit anderen Worten: Das heutige Verständnis vom Jüdischsein könnte einen daran hindern, Jude zu sein.
Kein Zugang zur jüdischen Mystik
Aber auch im Judentum finden sich eindrückliche tiefschichtige Lehren und fortgeschrittene Methoden zum Beten und zur Meditation. Beten ist im Judentum einer der wichtigsten Aspekte eines erfüllten jüdischen Alltags. Shimon Hatzadik sagte: «Die Welt steht auf drei Pfeilern: Thora/Lernen, Avoda/Beten und Gmillut Chassadim/Umgang mit anderen Menschen.» Aber in Synagogen, in welchen der Gottesdienst eher einem Theater mit Zuschauern gleicht, fühlen sich viele nicht mehr vertraut mit den Texten und Melodien der Gebete oder mit speziellen Techniken des Betens, die zur inneren Ruhe führen könnten. Diese Inhalte werden in chassidischen Kreisen zwar immer noch gelehrt, aber die Lebensweise dieser Gelehrten schreckt die meisten Neugierigen ab. Die mystische Seite des Judentums ist deshalb schwer zugänglich, und nicht wenige werden sogar abgewiesen, wenn sie ihr Interesse an ihr kundtun.
Aber auch bei weniger geheimnisvollen jüdischen Lehren werden die mystischen Ansätze wenig beleuchtet, und viele säkulare Juden wissen nicht einmal um deren Vorhandensein. Die Halacha zum Beispiel sind nicht als patriarchalisches System gedacht, um Juden in ihrem Handlungsspielraum einzuschränken, sondern sollen aus mystischer Sicht das Bewusstsein um Gottes Präsenz im Alltag steigern. Es geht darum, Gott immer bei sich zu haben. Die Halachot erinnern in dem Sinne an die buddhistische Relativierung des Intellekts, in dem sie keiner Logik entsprechen müssen, um eingehalten zu werden. Wie im Buddhismus soll das Bewusstsein geweckt werden, dass es etwas Grösseres gibt, Zusammenhänge, die mehr bedeuten als nur das Individuum. Auch der Zustand an Schabbat, an dem die Zeit genutzt wird, um sich aus der Welt der Zeit herauszulösen, an dem nicht, wie an den anderen Tagen, die Dringlichkeit im Vordergrund steht, sondern die Wichtigkeit, erinnert an Meditationstechniken. Auch das Hin-und-Her-Schaukeln während des Betens ist vergleichbar mit unzähligen spirituellen Praktiken verschiedenster Religionen, sei es der Tanz der Derwische oder die Osho-Meditation.
Vollkommene Verschmelzung
Die buddhistische Lehre der Shunyata, der Relativierung des Selbst durch die grundlegende Verbundenheit jeglichen Seins, kann sehr gut mit dem kabbalistischen Konzept «En sof» («Unendlichkeit Gottes») verglichen werden. Hinter beiden Konzepten steht die Verbundenheit und die gegenseitige Einwirkung aller Dinge bis hin zur vollkommenen Verschmelzung, die über allem und hinter allem steht. Generell haben die mystischen Aspekte der meisten Religionen, wenn man von verschiedenen Methoden und Begrifflichkeiten absieht, sehr ähnliche Grundzüge. Trotzdem bleiben die Unterschiede sichtbar, was die Welt der Religionen auch so reichhaltig macht. Schade, wenn die mystische Seite des Judentums mit all ihren Finessen nicht ans Licht kommt und sich junge Suchende an anderen Orten orientieren müssen. Die Hoffnung bleibt aber, dass manche auch zurückkehren und durch ihre vielfältigen Erfahrungen das Judentum sogar bereichern könnten.